Gesamtziel des Forschungsprojektes

In der Sicherheitsforschung nimmt die Problematik eines Massenanfalls von Verletzten (MANV) bzw. Erkrankten (MANE) einen zunehmend wichtigen Stellenwert ein. Für komplexe Großschadenslagen an Land liegen erprobte Notfallpläne vor. Im Hafen und auf offener See mangelt es jedoch an Konzepten, die den besonderen Umständen, wie z. B. verlängerten Anfahrtswegen für Rettungskräfte, begrenzten Transportmitteln, limitierten Platzverhältnissen oder auch Sperrgebieten in jedem Detail Rechnung tragen. Insbesondere sind infektiologische Gefahrenlagen im Hafen bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dabei sind Häfen gerade in dieser Hinsicht besonders verletzlich.

Durch den internationalen Reiseverkehr sind in den letzten Jahren bereits mehrfach Erkrankte mit durchaus schwerwiegenden Infektionskrankheiten nach Europa eingereist. Kreuzfahrtpassagiere können bei Landausflügen mit vielfältigen Erregern in Kontakt kommen und diese an andere weitergeben. Darüber hinaus sind Schiffe, insbesondere große Kreuzfahrtschiffe, auch als mögliches Ziel für potentielle terroristische Angriffe mit Biowaffen denkbar. In diesen Fällen stellt der Hafen die Schnittstelle zwischen See und Land dar. Hierbei sind nach aktuellem Stand die zur Verfügung stehenden Konzepte, Trainingseinheiten und Fähigkeiten der beteiligten Akteure auch international ausbaufähig¹. Diese Thematik soll im vorliegenden Projekt bearbeitet und die erarbeiteten Lösungsansätze zur sicheren Umsetzung in die Praxis verbreitet werden.

Ziel des Projektes ist die Verbesserung der Vor-Ort-Resilienz und Handlungsfähigkeit bei einem Massenanfall von Erkrankten aufgrund einer infektiologischen Notfallsituation oder von hochinfektiösen Patienten, wie sie beispielsweise im Hamburger Hafen auftreten können. Hierfür sollen ein abgestimmtes Konzept zur Bewältigung eines Großschadensereignisses sowie ein adaptives Trainingskonzept entwickelt werden. Beides wird im Rahmen von drei Stabsübungen und einer Vollübung im Hamburger Hafen erprobt werden. Die Ergebnisse des Projektes werden zukünftig jedoch auch in anderen Häfen nach entsprechender Adaptierung an die lokalen Verhältnisse zur Anwendung kommen können.

Als Teil des Projektes ist die Modifizierung einer bereits von der Feuerwehr Hamburg genutzten Software geplant, die auf Tablet-PCs aufgespielt ist. Aktuell erprobt die Feuerwehr den Einsatz dieser Computer zur Auftragsübermittlung von der Rettungsleitstelle an die jeweilige Wache sowie zur Dokumentation des Rettungseinsatzes. Die Erfassung von Patientendaten, Anamnese, Untersuchungsergebnissen, Vitalparametern und begonnener Therapie kann somit papierlos erfolgen. Diese Daten sollen bei Ankunft in der Notaufnahme eines jeden Hamburger Krankenhauses auslesbar und transferfähig sein.

Dieses Softwaresystem wird im Rahmen des Projektes ARMIHN um einen Priorisierungsalgorithmus auf Basis der Erfahrungen aus vergangenen Projekten (z. B. KOMPASS, siehe weiter unten), ergänzt werden, um eine schnelle Dokumentation der Triage zu ermöglichen und einen Überblick über die Schwere der Erkrankungen zu erhalten. Der Hafenärztliche Dienst, der regelmäßig als Erster über eine gesundheitliche Gefahrenlage im Hafen informiert wird und sich vor Ort ein Bild über die Lage verschafft, hätte damit die Möglichkeit, zeitgleich mit der Erhebung diese Daten an die Rettungsleitstelle zu übermitteln. Dies spart Zeit, ermöglicht eine elektronisch abrufbare Übersicht der Schadenslage (z. B. Anzahl der infektiösen Patienten), gewährleistet eine einfachere Kommunikation der Einsatzkräfte in einer unübersichtlichen, komplexen Großschadenslage und erlaubt eine adäquate Planung und Koordination vorhandener Einsatzkräfte und -materialien.

Das Trainingskonzept soll auf in Stabs- bzw. Planübungen erworbenen Erkenntnissen zu Einsatzabläufen beruhen und kann durch aktualisierte Materialien an zukünftige Gefahren in inländischen Häfen nachhaltig und zielgerichtet angepasst werden. Unter einer Stabsübung ist hierbei das theoretische Durchsprechen eines vorgegebenen Szenarios in Zusammenarbeit mit dem Krisenstab zu verstehen. Hierdurch ist eine Verbesserung der Handlungsfähigkeit bei einem Massenanfall von infektiösen Patienten im Hafen zu erwarten.

Ein wesentliches Ziel des Projektes ist eine Vollübung mit Übungsanteilen im Hafen bzw. an Bord. Alle bei einem realen Massenanfall von Erkrankten seitens des Hafens beteiligten Personengruppen (z. B. Hafenärztlicher Dienst, Feuerwehr, externe Firmen, Sicherheitspersonal) sollen dabei sowohl in die Vorbereitung (Szenarienerstellung) als auch in die Durchführung (Teilnehmer) eingebunden werden. Langfristig sollen so fortlaufend aktualisierte Materialien (z. B. Lagekarten, Telefonlisten, Algorithmen) bereitgestellt und eine Resilienzerhöhung der ortskundigen Einsatzkräfte für den Schadensfall sichergestellt werden.

Geplant ist, die bestehende Software der Fa. medDV GmbH, die bereits für die Feuerwehr Hamburg zur Verfügung steht, für den Einsatz der Vollübung im Hafen bzw. auf dem Schiff so zu modifizieren und anzupassen, dass eine schnelle und effiziente Triage von Patientendarstellern bei der Übung möglich ist. Eine Excel-Tabelle mit den (fiktiven) Namen und weiteren (fiktiven) Daten (z. B. Kabine, Geschlecht, Alter) werden in das Programm eingelesen und zur Weiterverarbeitung bereitgestellt. In einem tatsächlichen Ereignisfall stünden derartige Excel-Daten durch Übermittlung von den Reedereien zur Verfügung. Die Übergabe der elektronischen Daten an die Feuerwehr würde als Teil der Übungskünstlichkeit noch nicht drahtlos erfolgen, sondern z. B. via Übergabe eines USB-Sticks. Perspektivisch kann – bei positivem Ergebnis der Übung – auch eine drahtlose Datenübermittlung in möglichen Anschlussprojekten entwickelt werden.

Die lokale Widerstandsfähigkeit soll nachhaltig durch gemeinsame Notfallplanung und Notfallübungen erhöht werden, indem Gestaltungsideen zur Planung, Durchführung und Auswertung von allen Personengruppen integriert werden können. Hierdurch soll ein partizipativer Lernansatz gefördert werden.

Ein Massenanfall von infektiös Erkrankten kann jederzeit vorkommen und macht ein sofortiges zielgerichtetes Handeln erforderlich, um weiteren Schaden von Menschen, Stadt und Wirtschaft abzuwenden. Seit seiner Gründung widmet sich der Hafenärztliche Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg der Abwehr von Infektionsgefahren. Im Bereich des Hamburger Hafens sollen die existierenden Notfallpläne und Vorsorgemaßnahmen für einen Infektionsausbruch gesichtet und adaptiert werden. Dabei wird insbesondere auch die Notwendigkeit eines bundesländerübergreifenden Agierens berücksichtigt. Eine intensive Vorbereitung aller Akteure auf einen derartigen Vorfall ist jedoch unabdingbar, um dessen Auswirkungen möglichst gering zu halten. Diesem Umstand muss daher durch regelmäßige Übungen Rechnung getragen werden.

¹(US Coast Guard 2013a bzw. www.imrfmro.org/mro-library-planning-download/file/720-mass-rescue-operation-shore-side-response-plan)